Die jüdische Geschichte

Schmalkaldens

Mindestens seit dem 14. Jahrhundert waren Juden in Schmalkalden ansässig. Nach 1570 durften sie sich nicht mehr in der Stadt niederlassen, bis Landgraf Moritz von Hessen 1611 jüdischen Familien wieder eine Ansiedlung erlaubte. Rasch entwickelte sich eine Gemeinde, die 1622 in der Judengasse eine kleine Synagoge errichtete. Ein bedeutender Talmudforscher, Rabbi Meir Schiff aus Fulda, vollendete um 1635 sein Werk der Talmuderklärung in Schmalkalden.

Bis zur Emanzipation 1848 stand bei den Schmalkalder Juden der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, Pferden, Vieh und Metallen als Broterwerb im Vordergrund. Danach erst war es den Juden erlaubt, auch Handwerksberufe zu ergreifen. Die jüdische Gemeinde Schmalkaldens umfasste in ihrer gesamten Bestehenszeit 22.000 Mitglieder. 1639 lebten 21 jüdische Familien in Schmalkalden, 1827 hatte die Stadt 81 jüdische Einwohner (von ca. 5.000 gesamt) und 1905 120. Sie besaßen neben Mikwe, Synagoge und Schule auch einen eigenen Friedhof.

Flurbezeichnungen, wie Judentelle und Judenrain, sind neben der Straßenbezeichnung Judengasse ebenfalls Zeugnisse jüdischen Lebens. In der Judengasse dürften im 14. Jahrhundert erstmals Juden angesiedelt worden sein. Sie blieb auch später noch bevorzugtes Wohngebiet. Vom 17. Jahrhundert bis 1880 lebten die meisten Juden hier und in den weiterführenden Straßen, wie z. B. Hoffnung, Lutherplatz, Stiller Gasse. Aber auch am Altmarkt, auf der Salzbrücke und in der Auer Gasse hatten jüdische Einwohner ihre Häuser oder wohnten dort zur Miete. Drei Schmalkalder Juden sind wegen ihrer Wohltaten für ihre Heimatstadt besonders in Erinnerung. Abraham Mandel (gest.1863) und Moses Plautberg (1773–1881) stifteten einen Teil ihres Vermögens den Armen.

Die Familie Gumprich setzte sich Anfang des 20. Jahrhunderts auf vielfältige Weise zum Wohl der Stadt und ihrer Bewohner ein. Ab 1933 erfuhren auch die Schmalkalder Juden schlimmste Repressalien, weshalb einige von ihnen in größere Gemeinden abwanderten oder emigrierten. Nach der Deportation der letzten jüdischen Einwohner Schmalkaldens in die Vernichtungslager wurde die Gemeinde ausgelöscht. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 erhielten die noch lebenden jüdischen Bürger ihre Häuser und ihr Vermögen zurück, einige von ihnen besuchten ihre ehemalige Heimatstadt. Auch einige Nachkommen waren bereits Gäste von Schmalkalden.

Erfahren Sie in einem informativen Rundgang mehr zur jüdischen Geschichte von Schmalkalden und besichtigen Sie die mittelalterliche Mikwe. Gerne senden wir Ihnen auch Prospektmaterial zu diesem Thema zu.

Steine des Gedenkens

In einer Informationsschrift der Vereinigung "Würzbuger Stolpersteine heißt es: "Jeder Stein erinnert an einen Menschen. Jeder Stein ehrt ein Opfer. Jeder Stein ist uns Mahnung." Mit diesen Steinen sind gewöhnlich die bekannten Stolpersteine gemeint, die seit 1996 in zahlreichen deutschen Städten und im Ausland immer wieder verlegt wurden aber auch jene, die in Eigeninitiative der Kommunen zum Gedenken an die jüdischen und weiteren Opfern des deutschen Nationalsozialismus gesetzt werden. In Schmalkalden erhielten sie die Bezeichnung "Steine des Gedenkens". Um das Andenken an die vom Holocaust betroffenen jüdischen BürgerInnen zu ehren, bewahren und lebendig zu halten, wurden zwischen den Jahren 2009 und 2016 an ihren Wohn- und Wirkungsstätten 34 Steine des Gedenkens gesetzt. 
Diese befinden sich an folgenden Orten: Altmarkt 3, Salzbrücke 8, Soldatensprung 1, Auer Gasse 9, 10, 11 und 29, Weidebrunner Gasse 28, Steingasse 9, Stiller Gasse 4 und 18, Pfaffengasse 5 und Kanonenweg 11.

Synagoge

בית כנסת

1622 wurde in der Judengasse (heute Haus Nr. 9) eine Synagoge errichtet, ein kleiner niedriger Bau, und nach einem Brand 1717 im darauffolgenden Jahr wieder aufgebaut und 1875 renoviert. Ein umfangreicher Umbau konnte 1929 eingeweiht werden. Die Gemeinde war sehr stolz auf das neue Gebäude. Täglich sollen Passanten stehengeblieben sein, um das Haus zu betrachten und sich auch hineinführen zu lassen. Vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Mobiliar und Religionsgegenstände von der SA und SS auf dem Altmarkt verbrannt. Am nächsten Morgen erfolgte die Sprengung der Synagoge. Heute erinnert eine Gedenktafel an den ehemaligen Standort.

Mikwe

מקווה

Die einzigartig gut erhaltene Kellermikwe Hoffnung 38 wurde 2015 bei Grabungen des Thüringer Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie freigelegt. Sie stammt vermutlich aus dem 16./17. Jahrhundert. Das Vorderhaus war im 18./19. Jahrhundert nachweislich im Besitz der jüdischen Familie Mandel. Es kann angenommen werden, dass sie das Tauchbad im hofseitigen Keller nutzte, vielleicht auch Familien aus dem direkten Umfeld. Das 1976 abgerissene Nachbarhaus Lutherplatz 11, wegen seiner Fassadenfarbe „Rotes Haus“ genannt, war Gasthaus mit Metzgerei von Michel Mandel. Aus dieser Familie stammt auch Abraham Mandel, der eine Stiftung für Arme „ohne Ansehen ihrer Konfession“ errichtete.

Mittelalterliche Mikwe in der Hoffnung 38

Jüdische Schule und Mikwe

בית ספר יהודי ומקווה

Die Schmalkalder Gemeinde legte großen Wert auf eine gute Bildung. Sie befand sich unter den fünf Gemeinden der Provinz Fulda, die eine Religionsschule besaßen. Die Suche nach geeigneten Lehrern blieb allerdings oft erfolglos. Mit der Schließung der Talmudschulen nach der Gesetzgebung aus dem Königreich Westphalen besuchten die Kinder der jüdischen Familien die Bürgerschulen. Der Religionsunterricht fand bis 1869 in dem Haus Näherstiller Str. 3 statt, danach in einem Raum der Bürgerschule. 1878 wurden 17 Kinder in Religion unterrichtet. Im Haus befand sich auch eine Wohnung für den Lehrer und eine Mikwe. Die Mikwe wurde 1890 im Hochparterre eingerichtet, wahrscheinlich an Stelle einer früheren in schlechtem Zustand. Die Existenz der Mikwe war in Vergessenheit geraten, sie wurde erst 1995 wiederentdeckt.

Germania-Drogerie Joseph Müller

Das Haus Altmarkt 12 war Wohn- und Geschäftshaus der jüdischen Familie Joseph Müller (1862– 1921) und seiner Frau Clara geb. Mandel (1865–1931)* sowie deren Nachkommen. Nach der Pogromnacht 1938 emigrierten die vier Kinder von Joseph und Clara Müller über Umwege in die USA. Dr. Ernst Müller, ein erfolgreicher Arzt, floh mit seiner Familie aus Nürnberg nach Griechenland und später in die USA, wo er 1953 in New York verstarb. Robert Müller emigrierte mit seiner Familie nach Trinidad und wanderte später nach Chicago, Illinois aus, wo er 1956 verstarb. Willy Müller (unverheiratet) floh nach Shanghai, China, und wanderte nach dem Ende des II. Weltkriegs in die USA aus. Er war Konzertpianist und starb 1968 in Houston/Texas. Hedwig Marcks geb. Müller lebte mit ihrem Mann Paul Herbert Marcks in Zella-Mehlis, wo sie in der Bahnhofstraße 47 ein Modegeschäft betrieben. 1938/1939 wurde das Ehepaar gezwungen, mit den Kindern (Lilly, Heinz und Helga) nach Shanghai zu emigrieren, wo Paul bereits 1941 verstarb. Nach dem II. Weltkrieg wanderte die Familie nach Houston, Texas aus, wo Hedwig 1962 verstarb. Lilly Lachmann geb. Marcks verstarb 1999 in Houston und Heinz Marcks im Jahr 2001. Helga Guttman geb. Marcks, war 2014 84 Jahre alt und lebte in Huntsville, Alabama.

Das Haus Altmarkt 12 wurde bei einem Bombenangriff der Alliierten am 6. Februar 1945 vollständig zerstört, die Baulücke erst im Jahr 2022 durch ein modernes Gebäude der Rhön-Rennsteig-Sparkasse geschlossen.

*Clara Müller geb. Mandel war eine der letzten Nachkomminnen mit dem Familiennamen Mandel, einer alteingesessenen und einflussreichen Familie in Schmalkalden. Ihre Vorfahren besaßen neben dem Gasthaus Lutherplatz 11 seit mindestens 1735 das Haus Hoffnung 38. Dort wurde 2015 bei Bauarbeiten eine historisch bedeutende Kellermikwe entdeckt. Zur Einweihung der Mikwe als Denkmal des jüdischen Lebens in Schmalkalden im September 2021 konnten Nachkommen der Familie Müller aus den USA in Schmalkalden begrüßt werden. Sie waren bereits 2018 aus Anlass des 80. Jahrestags der Pogromnacht Gäste der Stadt. Text: Ines Ulbrich, Ute Simon Die Angaben zur Familie stammen aus einem Brief von Paul Guttman, Florida, USA vom 3.4. 2014 an Jennifer Hergert und Ute Simon/Stadt -und Kreisarchiv Schmalkalden und aus einem Schreiben vom Stadtarchiv Zella-Mehlis vom 2.11.2018 an das Archiv Schmalkalden.

Text: Ines Ulbrich, Ute Simon Die Angaben zur Familie stammen aus einem Brief von Paul Guttman, Florida, USA vom 3.4. 2014 an Jennifer Hergert und Ute Simon/Stadt -und Kreisarchiv Schmalkalden und aus einem Schreiben vom Stadtarchiv Zella-Mehlis vom 2.11.2018 an das Archiv Schmalkalden.

Alter Jüdischer Friedhof

בית קברות יהודי עתיק

Der Friedhof befand sich direkt hinter der „Judenschule“ und blieb bis Ende des 19. Jahrhunderts Begräbnisplatz. Heute ist an der Stelle eine Wiese mit einer mächtigen Eiche zu sehen. Die Grabmäler wurden 1962 im Zuge der Stadtplanung auf den neuen Begräbnisplatz im Eichelbach umgesetzt. Der älteste datierbare Grabstein stammt aus dem Jahr 1629.

Neuer Jüdischer Friedhof

בית קברות יהודי חדש

Am 28.3.1897 wurde der neue jüdische Friedhof im Eichelbach eingeweiht, nachdem im Jahre 1895 der jüdische Friedhof am Stillertor bis auf den letzten Platz belegt war. Die 48 Originalbestattungen, zumeist hebräisch und deutsch beschriftet, befinden sich im Westteil der Anlage. Im Ostteil sind die 1962 umgesetzten 107 Grabdenkmale des Alten Friedhofs aufgestellt. Die Grabmale zeugen von der Würde und dem Wohlstand, den einzelne Mitglieder der Gemeinde genossen haben.

Bankhaus

נבַּק

Die Familie Gumprich war jüdische Teilhaberin der privaten Bank Wachenfeld & Gumprich Weidebrunner Gasse 28 und wirkte vielfältig zum Wohle der Stadt und der Bewohner, z. B. bei der Gründung der Fachschule für Kleineisen- und Metallwarenindustrie (heute Hochschule), mit Stipendien für bedürftige Studenten und Stiftungen für die Hinterbliebenen gefallener Soldaten aus dem 1. Weltkrieg, die Säuglings- und Jugendfürsorge sowie für die Gedächtnishalle zur Erinnerung an den Schmalkaldischen Bund.

Altmarkt und Rathaus

Auf dem Altmarkt verbrannte die SA und SS in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 die Inneneinrichtung und zahlreiche Kultgegenstände der Synagoge. Im Keller des Rathauses wurden in der Pogromnacht alle jüdischen Männer ab 15 Jahren sowie alle Frauen ohne kleine Kinder bis zum nächsten Tag eingesperrt. Die Männer mussten die Schäden der Pogromnacht selbst beseitigen und wurden dann ins KZ Buchenwald gebracht.

Bahnhof

תחנת רכבת

Von hier aus erfolgten 1942 bis Januar 1945 die Deportationen von 19 noch in der Stadt verbliebenen jüdischen Personen in die Vernichtungslager. Nur zwei von ihnen überlebten.

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